“Unterleuten” von Juli Zeh

Ein eiskalter Wind weht durch das Dorf Unterleuten von Juli Zeh.

Man sagt, dass bereits der Flügelschlag eines Schmetterlings Orkane verursachen kann, wie stark wäre dann erst der Wind, den ein Windpark verursacht? Wind kommt im Dorfe Unterleuten auf, als ein Industrieller einen Windpark in der Nachbarschaft bauen möchte. Einigkeit hat man nach der Wende, aber einig in Punkto Windpark ist man sich eher nicht, da öffnen sich erneut alte Fronten. Juli Zehs neuester Gesellschaftsroman Unterleuten (Luchterhand Literaturverlag) zeigt, wie die Dorfidylle durch die eigenen Dorfbewohner, die ja eigentlich gute Absichten haben zur Hölle werden kann.

Unterleuten teilt sich in zwei Fraktionen, Pro Windpark, und die Contra Windpark. Pro Windpark: mehr Arbeitsplätze, Modernität und mehr Kapital – dafür setzt sich der Neukapitalist Gombrowski ein. Der zweite Dorfchef und Ex-Kommunist Kron, zusammen mit den Hinzugezogenen und Großstadtaussteigern, hingegen will die Natur und Ruhe nicht zerstören lassen. Ruft Kron noch zur Solidarität mit dem Dorf auf, wollen die Ex-Berliner ihre Illusion des friedlichen Dorflebens, in das sie gezogen sind, aufrecht erhalten und nicht die Dinge zu sich ziehen lassen, vor denen sie aus der Stadt geflüchtet sind. So wie Gerhard und seine Frau: „Er war nicht aufs Land gezogen, um zu erleben, wie der urbane Wahnsinn die Provinz erreichte. Er verzichtete nicht auf Theater, Kino, Kneipe, Bäcker, Zeitungskiosk und Arzt, um durchs Schlafzimmerfenster auf einen Maschinenpark zu schauen, dessen Rotoren die ländliche Idylle zu einer beliebigen strukturschwachen Region verquirlten.“

Gerhard, die anderen Aussteiger, Kron und Gombrowski verlieren allerdings bei ihren aktivistischen Tätigkeiten das Wesentliche aus den Augen, die Gesellschaft. Jeder fixiert sich auf sich selbst, die eigene Individualität wird vor das Wohl der Gemeinschaft und der Gesellschaft gestellt. Das Dorf verwandelt sich in eine Arena, in der jeder gegen jeden ist, und den neusten Klatsch und Tratsch aus dem Dorffunk gegeneinander einsetzt. Jeder denkt an sich selbst und verrät dadurch seine Überzeugungen.

Die Individualität, die als höchstes Gut unserer Zeit gesehen wird, das alle die Ideen von Gemeinschaft, Ideologien und Religionen ersetzt und die Gesellschaft zu einer Ich-zentrierten Welt werden lässt, wird von Zeh auf einer ironische Weise herausgestellt. Der Wind hat sich in Unterleuten gedreht und der Frieden ist wie weggeblasen.

Leave a comment